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Was hat ein Kaninchen mit unserer Geschichte zu tun?

Um Ihnen den Zusammenhang des Kaninchens mit der Geschichte unserer Schule zu verdeutlichen, können Sie sich gerne im folgenden Bericht in die intensive Arbeit der Kinder um das AG-Team Nadja Kaiser und Marco Brenneisen in dieses Thema vertiefen. Diesen Bericht finden Sie im Original auf der Homepage der Landeszentrale für politische Bildung Baden Württemberg:

 

KZ-Gedenkstätte Mannheim-Sandhofen - didaktisches Konzept für die Grundschulen

KZ-Gedenkstätte Mannheim-Sandhofen Nationalsozialismus und Menschenrechte als Thema an einer Grundschule.
Logo der KZ-Gedenkstätte Mannheim-Sandhofen

Text: Frank Wagner / Fotos: Marco Brenneisen

An der Gustav-Wiederkehr-Schule in Mannheim-Sandhofen wird derzeit ein didaktisches Konzept erprobt, welches Grundschulkinder der vierten Jahrgangsstufe an die Themen Nationalsozialismus und Menschenrechte heranführt. Von 1944 bis 1945 war das Schulgebäude ein Außenlager des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof. Seit 1990 befindet sich in den Kellerräumen der Schule eine KZ-Gedenkstätte.

Die Frage „Was hat ein Kaninchen mit unserer Geschichte zu tun?“ stellt sich eine Arbeitsgemeinschaft an der Gustav-Wiederkehr-Schule, die von Marco Brenneisen, ehrenamtlicher Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Mannheim-Sandhofen, geleitet wird.

„Was hat ein Kaninchen mit unserer Geschichte zu tun“ beschreibt eine pädagogische Methode, die Kinder an das Thema Menschenrechte heranführt. Die Kinder stellen sich vor ein Kaninchen versorgen zu müssen. Dabei berücksichtigen die Kinder, was ein Kaninchen alles braucht, um glücklich, sicher und gesund zu bleiben. Mit gezielten Fragen soll darüber nachgedacht werden, ob ein Kaninchen ein Recht auf Dinge wie Nahrung, Wasser oder Stall besitzt und wer für das Wohl eines Kaninchens verantwortlich sein könnte. Anschließend übertragen die Teilnehmenden das Erarbeitete auf Bedürfnisse und Rechte von Kindern. Die Ergebnisse werden auf einem Plakat festgehalten, damit während den AG-Tagen auf sie zurückgegriffen werden kann.

(Quelle: „Compasito – Handbuch für Menschenrechtsbildung mit Kindern“, siehe www.compasito-zmrb.ch)

Die AG, die erstmals nach Rücksprache mit der Schulleitung und unter Einbezug der Elternschaft im zweiten Schulhalbjahr 2013/14 umgesetzt wird, bietet ein niedrigschwelliges und interaktives Angebot für Grundschulkinder an, um laut Brenneisen Kinder im Umgang mit Geschichte zu sensibilisieren, ihr politisches und demokratisches Bewusstsein zu schärfen und zu einer Orientierung an Menschenrechten zu motivieren.

„Was hat ein Kaninchen mit unserer Geschichte zu tun?“, Arbeitsmethode um Kinder an das Thema Menschenrechte heranzuführen.

Seit einiger Zeit bereits wird in Fachkreisen diskutiert, ob das Thema Nationalsozialismus und der Holocaust an Grundschulen behandelt werden kann und darf. Es werden Bedenken geäußert, dass Kinder bei diesem Thema kognitiv, emotional und psychisch überfordert wären und bei einer gleichzeitigen Reduktion der Inhalte eine Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus stattfinde. Darüber, dass eine Thematisierung möglich ist, gäbe es mittlerweile einen weitgehenden Konsens, sagt Brenneisen. Diskutiert werde heute jedoch überwiegend darüber, wie eine Umsetzung aussehen könne.

Marco Brenneisen, der selbst einen neunjährigen Sohn hat, ist davon überzeugt, dass es unterschätzt wird, wieviel latentes Wissen über Krieg, Adolf Hitler und Nationalsozialismus bei Kindern vorhanden ist. Auch weist er darauf hin, dass in der heutigen Medien- und Kommunikationsgesellschaft Kinder „zwangsläufig“ mit Themen wie Nationalsozialismus und Rassismus, Ausgrenzung und Verfolgung konfrontiert werden.

Im Fall der Gustav-Wiederkehr-Schule kommt die Tatsache hinzu, dass der Ort historisch belastetet ist. Brenneisen erläutert: „Unter den Schülern soll beispielsweise das Gerücht kursieren, dass die KZ-Gedenkstätte im Keller des Schulhauses eine Art Gruselkammer sei, in der Särge aufgebahrt seien und sich Überreste von getöteten Menschen befänden.“ Die Vermittlung von historischen Grundkenntnissen sowie einer Thematisierung von Menschenrechten und Toleranz sei daher notwendig um das bereits vorhandene Wissen der Kinder zu erweitern.                                                                                   Nadja Kaiser von der KZ-Gedenkstätte Mannheim-Sandhofen mit den Schülerinnen und Schülern vor der Gedenktafel.

Im Grundschulalter kann es jedoch nicht nur um die Vermittlung von reinem Faktenwissen gehen. Dies würde die Kinder überfordern. Notwendig ist ein lebensweltlicher Bezug, um das historische Lernen zu fördern. Dies wird durch grundschulgerecht aufbereitete methodische Zugänge unterstützt. Der Verein KZ-Gedenkstätte Sandhofen hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine freiwillige Arbeitsgemeinschaft für Grundschüler der vierten Jahrgangsstufe anzubieten.

Der Schwerpunkt liegt bei der Sensibilisierung für Menschenrechte sowie bei der Thematisierung von Ausgrenzungs- und Verfolgungsmechanismen. Das methodisch-didaktisch und interaktiv aufbereitete Angebot ermöglicht die zeitgeschichtliche Einordnung des Nationalsozialismus und erläutert wesentliche Begriffe wie Diktatur, Führer, NSDAP oder der Zweite Weltkrieg.

Dabei soll den Schülerinnen und Schülern gezeigt werden, dass es sich bei dem Thema Nationalsozialismus um eine abgeschlossene Zeitspanne handelt, die nun fast 80 Jahre zurückliegt. Um dies den Kindern anschaulich zu verdeutlichen, haben sie die Möglichkeit, auf einem Zeitstrahl ihre eigenen Geburtsdaten, die ihrer Eltern oder weitere für sie wichtige Ereignisse einzutragen.

Am Beispiel des Bilderbuchs „Papa Weidt. Er bot Nazis die Stirn“ von Inge Deutschkorn und Lukas Ruegenberg werden die Kinder an das Thema Antisemitismus und Judenverfolgung herangeführt.

Bilderbuch „Papa Weidt. Er bot Nazis die Stirn“ von Inge Deutschkorn und Lukas Ruegenberg

Das Buch gibt zudem Anlass, den Widerstand oder auch Hilfsaktionen der Bevölkerung zu thematisieren.

Mit vielseitigen Methoden arbeiten die Kinder der AG.

In einem weiteren Schritt wird den Kindern erklärt, was Zwangsarbeit im Nationalsozialismus bedeutete. Hierbei steht die Arbeit mit den Biografien der inhaftierten Zwangsarbeiter des Außenlagers Sandhofen im Mittelpunkt. Die bisherigen Arbeitsschritte stellen die Grundlage für einen gemeinsamen Besuch der Gedenkstätte im Keller des Schulgebäudes dar. Die abschließenden Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft widmen sich erneut den Themen Menschenrechte und Kinderrechte. Dies ermöglicht die Diskussion darüber, welche Menschenrechte im Nationalsozialismus verletzt wurden.

Mit vielseitigen Methoden arbeiten die Kinder der AG.

Derzeit nehmen elf Schülerinnen und Schüler an dem Projekt teil, die laut Brenneisen äußerst interessiert und motiviert sind. Der Gedenkstättenmitarbeiter ist vor allem überrascht, wie viel Wissen bei den Kindern bereits hängen geblieben ist. Das Lehrerkollegium der Gustav-Wiederkehr-Schule hat Anteil am Projekt, das auch von den Eltern unterstützt wird. Gefördert wurde die AG von der Heinrich-Vetter-Stiftung und der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

Teilnehmende Schülerinnen und Schüler der Gustav-Wiederkehr-Schule

Die KZ-Gedenkstätte Mannheim-Sandhofen dokumentiert die Verbrechen im Außenkommando des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof. Am 27. September 1944 wurde mit der Errichtung des Außenlagers Sandhofen in einem Schulgebäude mitten im Wohngebiet begonnen. Von September 1944 bis März 1945 wurden dort 1.060 polnische Zwangsarbeiter festgehalten, die infolge des Warschaus Aufstands verhaftet worden waren. Die Häftlinge, die in 16 Klassenzimmer zusammengepfercht wurden, mussten Zwangsarbeit in einem etwa fünf Kilometer entfernten Werk von Daimler-Benz verrichten.

Harte Arbeit, unzureichende Ernährung, die für die Jahreszeit unangemessene Bekleidung sowie mangelnde Hygiene hatten bald körperliche Erschöpfung und verschiedene Krankheiten zur Folge. Fest steht, dass mindestens 22 polnische KZ-Häftlinge in Sandhofen starben.  Im Dezember 1944 wurden über 400 kranke und verletzte Häftlinge nach Buchenwald abgeschoben. Mindestens 200 Männer wurden im März 1945 in das Krankenlager des KZ-Außenlagers Vaihingen an der Enz verlegt. 111 von ihnen sind dort verstorben.

Seit 1990 informiert eine Dauerausstellung in den Kellerräumen der heutigen Gustav-Wiederkehr-Schule über das KZ-Außenlager Sandhofen. Der Lern- und Gedenkort thematisiert die Zwangsarbeit im NS-Staat und erinnert an die 1.060 polnischen Zwangsarbeiter, die dort von den Menschenrechtsverletzungen des Nationalsozialismus betroffen waren.